FSJ & Chocolate-Lava-Muffins

Ein Gespräch in der Offenbacher Tagesstätte:
Laura Domhöver, 19, leitet in der Kirchengemeinde St. Nikolaus im Stadtteil Offenbach-Bieber eine Jugendgruppe. Nach der verkürzten Gymnasialstufe G8 entscheidet sie sich mit dem Abitur in der Tasche für eine Auszeit: „Ich wollte vor meinem Studium ein Jahr Pause machen und gerne mit Erwachsenen arbeiten.“ Seit 1. September 2015 hat sie das Rudolf-Koch-Gymnasium mit der Offenbacher Tagesstätte eingetauscht. Neun Monate hat sich die angehende Psychologiestudentin dafür eingeplant. Vor Beginn des FSJ macht sie zur Entscheidungsfindung einen Hospitationstag. „Die abwechslungsreiche Arbeit hat mich sofort begeistert.“ Laura Domhöver bezeichnet sich als „Tüftlerin“ und eher wissenschaftlich orientiert. „Ich freue mich darüber, dass ich so viel in der Tagesstätte machen kann: mit den Besuchern Einkaufen und Kochen, bei den Beschäftigungsangeboten unterstützen, im Begegnungsbereich eigene Ideen einbringen, Freizeitaktivitäten wie Kinotag oder Zoobesuch mitplanen und durchführen.“ Rund 30 erwachsene Menschen mit psychischen Erkrankungen besuchen täglich die Luisenstraße 9. Ergotherapeutin Andrea Buchert sitzt am Tisch. Sie hat früher selbst Auszubildende angelernt, für das FSJ in der Tagesstätte das „Stellenprofil“ entwickelt. Auch sie freut sich, ergänzt: „Laura hat Erfahrung mit Gruppen, ist ein offener Mensch und kommt durch ihre erfrischende Art schnell in Kontakt. Auch hat sie ein gutes Gespür dafür, worüber die Menschen reden möchten.“

Für die junge Frau ist die Arbeit mit psychisch kranken Menschen Neuland. „Ich hatte Angst davor, dass ich als junger Mensch von den Besuchern abgelehnt werde.“ Von den Menschen hatte sie die Vorstellung, dass sie „introvertiert, phobisch und in einem schlechten Zustand“ sind. Das bestätigte sich nicht: „Ich war überrascht, wie fit die Tagesbesucher sind, wie viel sie erzählen und sich beim Kochen, Einkaufen oder an Ausflügen beteiligen.“ Sie habe sich gefragt, wo denn die Erkrankung sei. Beeinträchtigungen wie z. B. eingeschränkte Belastbarkeit oder verstärkte Ängste seien für sie erst „mit der Zeit“ zu erkennen gewesen. Überrascht waren auch die Besucher: Helga Mombert, 56 (Name geändert) sitzt neben ihr, spricht in die Runde: „Ich fand es toll, dass 'die neue Mitarbeiterin' gleich vom ersten Tag an alles mitgemacht hat, sich auf uns einlassen konnte." Mit „Line Dance“, einer choreografierten Tanzform, bei der einzelne Tänzer in Reihen und Linien vor- und nebeneinander tanzen, startete das FSJ. Der Tagesstätten übergreifende Workshop-Tag zum Thema „Bewegung“ war auch für die  Besucher eine unkomplizierte Art, „die Neue“ kennenzulernen. „Wir sind hier viele ältere Menschen. Ich fand es sehr angenehm, wieder einen jungen Menschen in unserer Runde zu haben, sie beim ‚Line Dance‘ kennenzulernen“, erzählt am Tisch Erich Lang, 47, (Name geändert).

Was hat nun das FSJ mit den Chocolate-Lava-Muffins zu tun? Erich Lang, eher ein ruhiger und zurückhaltender Zeitgenosse, lacht spontan, kommt ins Schwärmen: „Jeden Tag hätte ich die essen können. Sie ist unsere Backfee.“ Täglich kam die Schleckerei dann doch nicht auf den Tisch, aber niemand sollte zu lange darben müssen. Einmal in der Woche kochte Erich Lang mit Laura Domhöver in der Kochgruppe – das „superleckere“ Backwerk wurde als Nachtisch „der Renner“. Auch Frau Mombart ist begeistert: „Ich finde es toll mir ihr zu kochen und zusammen einzukaufen. Es ist immer so lebendig mit ihr, ich werde sie vermissen – es wird ruhiger werden.“ Die Besucher genießen die lebendigen Gespräche, das gemeinsame „Mensch-ärgere-dich-nicht-Spiel“, sind gerne in ihrer Nähe. „Ich erlebe sehr schöne Kontakte zu den Besuchern und sie schätzen Laura“, schildert Andrea Buchert.

Für die Tagesstätte ist es das erste FSJ, eine Mitarbeiterin des DPWV hat die Einrichtung besucht, die Tauglichkeit des Angebots überprüft. Laura Domhöver bereut ihre Entscheidung nicht: „Ich durfte hier alles machen, konnte unter anderem bei ESSWERK und im Wohnheim reinschnuppern.“ Das FSJ biete eine Fülle an Möglichkeiten und sei eine gute Orientierungshilfe dabei, den eigenen Berufswunsch zu überdenken. „Ich hatte die Vorstellung, später als Psychologin in der Forschung zu arbeiten. Das FSJ gibt mir jetzt zu denken, ob ich nicht die Arbeit mit Menschen stärker einbeziehen soll.“
Zum FSJ gehören vierteljährlich eine Seminarwoche und diverse Seminartage, z.B. einen Hospitationstag, an dem sich die FSJler gegenseitig an ihren Dienststellen besuchen. Laura Domhöver gestaltete zum Thema „Psychische Erkrankung – Umgang mit Belastung und Aggression“ eine Seminarwoche mit anderen FSJlern. „Ich war sehr überrascht, dass das Thema so positiv aufgenommen wurde und gleich fünf Kolleginnen bei mir in der Tagesstätte hospitieren wollten.“

Andrea Buchert hat keinen Zweifel daran, dass Kollegen und Besucher vom FSJ profitieren: „Laura brachte frische Impulse und eine neue Dynamik in die Tagesstätte, die Besucher wurden positiv mit jugendlicher Energie konfrontiert. Ihre Unbeschwertheit und Leichtigkeit hat uns allen gut getan.“ Erich Lang möchte abschließend eine Erfahrung hinzufügen: „Frau Domhöver wohnt in Bieber. Sie hat mich herausgefordert, dort meine Bekannte zu besuchen. Ich wohne in der Innenstadt, Bieber kannte ich bislang nicht. So lernte ich den ländlichen Stadtteil kennen und wir hatten fortan ein gemeinsames Gesprächsthema.“
Laura Domhöver möchte künftigen FSJlern mit auf den Weg geben: „Offen und ohne Vorurteile in das FSJ reingehen, sich vom Alltag überraschen lassen können, flexibel für unterschiedliche  Aufgaben sein, dabei belastbar – vor allem aber sollte man Spaß an seinen Aufgaben haben“. Andrea Buchert möchte nach der schönen Erfahrung das FSJ in der Offenbacher Tagesstätte zur Dauereinrichtung machen. Ab 1. September besteht wieder Gelegenheit dazu.

Kontakt:  Andrea Buchert, T 069 800 824-40, Kontaktformular