Christoph Wutz - neuer Vorstandsvorsitzender

Seit dem ersten Juli ist Christoph Wutz im Amt, die Übergabe läuft gerade noch, bis zum 30. September dann wird Klaus-D. Liedke seinem Nachfolger vertrauensvoll und endgültig die Arbeit überlassen. Ein guter Zeitpunkt, Christoph Wutz vorzustellen und ihn nach seinen ersten Eindrücken zu befragen.

Im Landkreis Miltenberg, im „Grenzgebiet“ Unterfrankens, nur einen guten Kilometer Luftlinie von Hessen entfernt geboren und aufgewachsen, begann Christoph Wutz nach dem Studium von BWL und Politikwissenschaften in Würzburg, München und Washington DC zunächst in der IT-Branche. Es ist die Zeit der New Economy. Es ist eine Zeit großer Veränderungen.
Nicht nur neue Techniken und Medien entstehen, völlig neue Herangehensweisen im Aufbau von Unternehmen und Geschäftsfeldern werden etabliert. „Die Entstehung von Innovationen, diese im Unternehmen aufzunehmen und weiter zu treiben, um nicht im Status Quo zu verharren und dadurch unterzugehen. Die Erfahrungen aus dieser Zeit versuche ich bis heute, bei meinem Engagement in der Sozialwirtschaft einzubringen.“

Geprägt und motiviert durch kirchliche Verbandsarbeit in der Jugend zieht es Christoph Wutz alsbald in ein sozialwirtschaftliches Unternehmen. Als er um die Jahrtausendwende zu Kolping-Mainfranken in Würzburg stößt, muss sich der Bildungsträger einem fundmentalen Wandel unterziehen. Die Agentur für Arbeit veränderte gerade ihre Vergabepraxis von Bildungsdienstleistungen. 
Es zieht sich wie ein roter Faden durch Christoph Wutz’ beruflichen Werdegang, dass er immer in Unternehmen anlandet, die sich strukturell stark veränderten. So wird die Beschäftigungsförderung in München, seiner nächsten Station, durch die Harz IV-Reformen durcheinander gewirbelt.
„Alte Instrumente wie ABM-Maßnahmen greifen nicht mehr bzw. laufen aus. Stattdessen etablieren sich die berühmt berüchtigten Ein Euro Jobs. Auf einmal ist der Beschäftigungsträger damit konfrontiert, auf völlig neuer Grundlage nachhaltige Beschäftigung und Qualifizierung für eine Gruppe von Menschen zu entwickeln, die oft „multiple“ Vermittlungshemmnisse mit an Bord haben. Wo die absolute Notwendigkeit besteht, Hilfe und Förderung weiterhin anzubieten und das unter kurzfristig völlig veränderten Rahmenbedingungen. Mit dem Bewusstsein bin in den nächsten sozialwirtschaftlichen Bereich gewechselt, in die Berufliche Rehabilitation im Berufsförderungswerk Würzburg. Seit 2014 war ich in der Geschäftsleitung und habe, welch Wunder, schon wieder einen Bereich erlebt, der sich fundamentalen Veränderungen zu unterziehen hatte.“

Dort zeichneten sich Entwicklungen ab, die sich heute teilweise im Bundesteilhabegesetz wiederfinden, nämlich bestehende Angebote erneut zu hinterfragen: sind sie individuell, personenzentriert genug, passen sie noch zu dem gewachsenen Anspruch Rehabilitation möglichst wohnortnah zu gestalten?
„Es war für mich eine spannende Zeit, gekennzeichnet durch einen immer enger werdenden Markt in der beruflichen Rehabilitation und man oft genug nicht selber es in der Hand hatte, Lösungen zu finden.“

Hier schließt sich der Kreis zur Stiftung LEBENSRÄUME. Hier finden sich die Voraussetzungen, die Christoph Wutz sucht: Eine Institution, die für Veränderungen bereit ist, die Pragmatismus ausstrahlt und lebt, sehr individuell an den Klienten arbeitet, sehr personenorientiert mit den Menschen, die sich ihr anvertrauen, umgeht, einer Belegschaft, die höchst flexibel, engagiert und „…mit Herzblut dabei ist, wie ich es nur selten erlebt habe. 
Nach einigen intensiven Gesprächen, die den ersten Eindruck bestätigten, war die Sache für mich klar.“

Als Bayer zu den Hessen nach Offenbach?
„Als Mainfranke (…in Bayern schon mal als halbe Hessen verschrien) kenne und schätze ich die Mentalität. Das schreckt mich nicht, im Gegenteil. Batschkapp, Mathias Belz, Rodgau Monotones und und und… Das Rhein-Main-Gebiet kenne ich gut aus Jugendtagen. Die Nähe zur alten Heimat ist besonders erfreulich. Ich bin schnell bei der Familie.“

Und Offenbach?
"Hier beeindruckt mich die Vielzahl von Menschen mit verschiedenen ethnischen Hintergründen, respektive auch deren Anteil und das mehr, auch mal weniger friedliche Zusammenleben so vieler Kulturen. Das ist schon eine andere Hausnummer als, sagen wir mal, in Würzburg. Das genieße ich. Meine Frau stammt aus Taiwan, wir haben zwei Kinder, wir leben ja jeden Tag in mehr als einer kulturellen Welt.“

Hat Sie die finanzielle Situation der Stadt, die hohe Verschuldung, nicht abgeschreckt?
„Da erstaunt mich der pragmatische Umgang. Die Devise: Wir machen das Beste draus, ist schon bemerkenswert, das setzt offensichtlich viel kreatives Handeln frei. Es gilt, die Dinge erst einmal so anzunehmen, wie sie sich darstellen. Natürlich haben Kommunen, die besser aufgestellt sind, mehr Möglichkeiten, aber da setzt LEBENSRÄUME an, nicht auf einen Dritten nur zu warten. Zweifellos brauchen wir starke Partner oder Leistungsträger wie den Landeswohlfahrtsverband Hessen, die soziale Dienste finanzieren. Natürlich wäre es auch schön, eine finanziell starke Kommune an der Seite zu haben, aber es ist schon viel wert, wohlmeinende, sozialpolitisch engagierte Kommunen und Kommunalvertreter mit an Bord zu haben. Die gibt es hier in Offenbach und im Landkreis. Man kann über viel Geld verfügen, und es an der falschen Stelle ausgeben – auch das habe ich schon erlebt. Die Sozialpolitik, glaube ich, kann sich in Hessen insgesamt sehen lassen. Vielleicht ist nicht alles mit den Mitteln ausgestattet, die man sich wünschen würde, aber das erhöht den Anspruch der Leistungserbringer wie der Stiftung LEBENSRÄUME, ihren eigenen Beitrag in den Blick zu nehmen. Mit aller Bescheidenheit, den kann man gar nicht hoch genug schätzen, gerade im Hinblick auf die Mitarbeiter, die hoch motiviert und engagiert sich um die einzelnen Menschen bemühen, die sich uns anvertrauen. Und letztlich ist es dem Einzelnen auch relativ „egal“, ob er in einer reichen oder armen Gemeinde lebt, solange er ernstgenommen wird, solange sein Hemmnis/Handicap aufgenommen wird. Die rasante Entwicklung der Stadt, der Zuzug vieler Menschen, der Bedarf sozialer Anteilnahme steigt, nicht überall ist ja „Heile Welt“.

Welche Auswirkung könnte das auf Ihre Arbeit haben und haben Sie da Erwartungen an die Politik?
„Man sollte, nicht von sich selbst, noch von anderen Akteuren, erwarten, von heute auf morgen Veränderungen herbeiführen zu können. Veränderungen brauchen Zeit, von der UN-Behindertenrechtskonvention bis zum Bundesteilhabegesetz dauerte es zum Beispiel mehr als ein Jahrzehnt. Aber in dieser Zeit stellen sich halt Bedarfslagen einzelner Menschen konkret in den Raum, manchmal auch in den Weg. Denen hilft es nicht, auf das Große und Ganze verwiesen zu werden. Ich glaube, LEBENSRÄUME kann (und macht das seit vielen Jahrzehnten schon), einen Beitrag leisten, damit das Leben von Menschen mit Handicaps Tag für Tag gelingt. Ohne uns eine politische Ambition gänzlich abzusprechen, unser zentraler Auftrag ist, den konkreten Bedarf eines einzelnen Menschen an Hilfe und Unterstützung zu decken. Insofern ist die Erwartung an Politik und Entscheider der öffentlichen Hand, uns diese Arbeit weiterhin zu ermöglichen, unter welchen Rahmenbedingungen auch immer.

Die Stadt boomt, was Bauen angeht, Hafen, Senefelder Quartier etc., sozialer Wohnungsbau ist da allerdings wenig dabei, Orte für soziale Einrichtungen ebenso wenig. Aufgabe, für Sie aktiv zu werden?
„Das erleben wir natürlich als Engpass wie jeder „normale“ Mensch, der im Rhein-Main-Gebiet auf Wohnungssuche ist. Dazu braucht es keine Behinderung oder Einschränkung, um zu erleben, wie sich der Wohnungsmarkt entwickelt hat, welche Not das manchmal mit sich bringt. Da ist Offenbach in bester – schlechter Gesellschaft. Ich denke, das ist nicht Offenbach spezifisch, sondern man steht hier tatsächlich vor einer politischen, sozialen, gesamtgesellschaftlichen Aufgabe, die sich ja über fast das ganze Bundesgebiet hinwegzieht. Aber auch hier gilt, mit dem Vorhandenem zu arbeiten. LEBENSRÄUME hat sich sehr früh und damit in weiser Voraussicht mit dem Thema Wohnen auseinander gesetzt – wenn man will als Mittel zum Zweck. Denn meist nur dann, wenn die zentrale Frage für den Menschen geklärt ist, ein Dach über dem Kopf zu haben, macht auch das Weitere einen Sinn. Das heißt für LEBENSRÄUME, sich nicht nur mit dem Kernauftrag der psychosozialen Versorgung und Betreuung zu begnügen, sondern mit den vorhandenen Mittel, bei aller Begrenztheit, Wohnraum zu schaffen – durch eigene Immobilienprojekte oder auch durch Anmietung von Wohnraum.
Das ist schwieriger geworden. Fläche ist endlich. Es wäre vermessen, noch dazu als Außenstehender, hier Ratschläge an die kommunal Verantwortlichen zu richten. Hier habe ich eher ein Grundvertrauen in die politisch Handelnden, dass sie die Probleme erkannt und diese im Rahmen der Stadt Offenbach und des Kreises angehen. Wir leisten einen wichtigen Beitrag, indem wir für diese Themen sensibilisieren, gerade für unser Klientel, denn das hat es noch mal deutlich schwieriger Wohnraum zu finden. Nach wie vor sind psychische Erkrankungen ein Thema, mit dem man nicht hausieren geht, das immer noch mit Stigmatisierung verbunden ist. Da müssen wir mehr als nur Makler oder Vermittler sein, da sind wir oftmals noch viel stärker als Überzeuger gefordert. Das müssen wir konkret vorleben, respektive auch sichtbar machen, dass das Zusammenleben von Menschen in all ihrer Unterschiedlichkeit möglich ist. Letztlich muss es noch vielmehr als bisher unser Ziel sein, dass Menschen wegen dieses, ihres Handicaps nicht ihr vertrautes soziales Gefüge verlassen müssen.“

Sie sind angewiesen auf Wohnraum für Einzelne, für Wohngruppen, Werkstatträume. Wo sehen Sie Möglichkeiten, an bezahlbare, vermittelbare Räume zu kommen? Wenn ich als „Offenbacher“ sehe, wie die neuen Viertel hochgezogen werden ist da kein/wenig Platz für solche Projekte, die doch aber zu einer Stadt gehören und zunehmend gebraucht werden.
„Auch hier bin ich nicht der große Fan von „Ich wünsche mir was“, sondern eher Realist mit Blick auf die Dinge, wie sie sich darstellen, und sehe, dass LEBENSRÄUME hier über Jahrzehnte Pionierarbeit geleistet hat. Es gibt wenige Träger, die sich so mit dem Thema Wohnraum beschäftigt haben. Gerade im Sinne des Bundesteilhabegesetzes, das seine Wirkung gerade zu entfalten beginnt, wird es nicht Auftrag sein, „nur“ psychosoziale Betreuung zu leisten, da ist das ganze Setting gefragt, Wohnraum natürlich bis hin zu Versorgungsfragen. Und da sind wir übrigens beim Namen LEBENSRÄUME - wir gestalten mit unserer Arbeit eben auch den Lebensraum für die Menschen, die sich uns anvertrauen, mit.“

Sie sagen, Sie sind Realist. Aber würden Sie sich trotzdem etwas wünschen?
„Naja sicherlich das, was sich die Menschen bezogen auf LEBENSRÄUME wünschen, sowohl die Erkrankten oder Betroffenen als auch die Mittarbeiter, die sich dieser Menschen annehmen: Akzeptanz! Eine größere Akzeptanz und Wertschätzung für das, was hier geleistet wird, eine größere Sichtbarkeit dessen, Abbau von Scheu, Hemmungen, Unverständnis, Vorurteilen gegenüber Menschen, die erstmal nicht anders sind als wir, bei denen aber oft nicht sofort greifbar ist, was mit dem Menschen gerade passiert oder los ist. Mit den Erfahrungen aus anderen Bereichen, zum Beispiel in den Bereichen der Körper- oder Sinnes-Beeinträchtigungen habe ich schon den Eindruck, dass es da eine positive Entwicklung hin zum normalen Umgang gegeben hat. Das steht mit psychisch erkrankten Menschen in Teilen noch aus. Hier ist Stigmatisierung nach wie vor ein Thema und die Werbung um Akzeptanz immer noch eine große Herausforderung. Ich würde mir wünschen, mit meiner Arbeit für LEBENSRÄUME einen Beitrag zu leisten, dass sich auch hier „Normalität“ im Miteinander einstellt.“

Danke für das Gespräch und viel Erfolg. 

Der Text wurde im Stadtmagazin "Mut & Liebe", Ausgabe 28/2018 veröffentlicht. Klicken Sie hier.  Text und Bild: Thomas Lemnitzer: www.lemnitzer-fotografie.de

Kontakt: Christoph Wutz, T 069 83 83 16-21, Kontakt