Die Einrichtung finde ich goldig

Rainer M., 56 Jahre, wohnt seit 2011 im Nachbarschaftshaus in Offenbach-Bieber. Beim Richtfest wurde der gelernte Berufskraftfahrer auf das Wohnprojekt aufmerksam. Mit dem ESSwerk-Bus lieferte er an die Baustelle heiße Würstchen und Getränke. Der Weltenbummler kennt das Leben im LKW und als Obdachloser. Heute kann sich Rainer M. keine andere Wohnform mehr vorstellen. Nach Feierabend stellt er den Kleinbus vor seine Erdgeschosswohnung, spielt mit Freunden Dart und legt zum Wochenende Würstchen auf den Grill.

"Mich fasziniert das Duschbad mit fließendem Warmwasser", sagt
Rainer M.

Rainer M. hat als Berufskraftfahrer alles durch. Mit LKWs und Reisebussen durchkreuzte er England, Frankreich, Spanien und Italien. Zu jeder Tages- und Nachtzeit. Die Fahrtenschreiber liefen über, das Portemonnaie wurde häufig um den verdienten Lohn betrogen. Trennung, Wohnungs- und Jobverluste ließen ihn zum Lebenskünstler werden. Über Jahre tauscht er die LKW-Kabine mit dem Obdachlosenwohnheim, schlägt sich 5 Jahre in Neuseeland durch. Nach schweren Depressionen und Suizidgedanken kehrt er über Frankreich nach Deutschland zurück. Ins Männerwohnheim am Frankfurter Hauptbahnhof.

Im Nachbarschaftshaus hat er nach einer Übergangswohnung im Landkreis ohne fließendes Wasser sein neues Zuhause gefunden. „Hier lebe ich ideal. Ich kann draußen im Garten sitzen, meine Zigarette rauchen, mit Freunden grillen. Will ich meine Ruhe, ziehe ich mich in mein  Appartement zurück. Und ich kann mich mit warmem Wasser duschen (lacht).“

Für drei Stunden täglich fährt er den ESSwerk-Bus durch Stadt und Kreis Offenbach, chauffiert Beschäftigte, beliefert Schulen und Kindergärten mit Mittagessen. Ein Sozialarbeiter unterstützt ihn mit Betreutem Einzelwohnen. Rainer M. erhält Grundsicherung nach Erwerbsminderung im Alter. Ist der Concierge im Urlaub, stellt er die Mülltonnen auf die Straße, mäht den Rasen und verkauft Waschmarken.

„Ich sehe die Probleme der Menschen, spreche sie im Bus oder im Nachbarschaftshaus an und bekomme zurück, was ich brauche. Ein bisschen bekloppt sind wir doch alle.“

Dieses Portrait wurde in der Zeitschrift "Treffpunkte" 4/2015 unter dem Titel "Mich fasziniert das Duschbad mit fließendem Warmwasser" veröffentlicht. Johann Kneißl, www.allemunde.de