Das Rad bleibt nicht stehen

Die Sozialpsychiatrie muss mit ihren Ressourcen schonend umgehen

Gesetzliche Vorgaben und Maßnahmen für die Solidargemeinschaft, die sich ändernden Bedürfnisse der erkrankten Menschen und die Arbeitsvorstellungen der Beschäftigten  treffen regelmäßig aufeinander – sie müssen mit den vorhandenen Ressourcen austariert und in eine passgenaue Form gebracht, geeignete Lösungen gefunden werden.

Arbeitsverdichtung in der Psychiatrie – was tun?

Die Gemeindepsychiatrie verfolgt seit jeher den Anspruch, das gesamte Lebensumfeld betroffener Menschen in die Betreuungsarbeit einzubeziehen. Unabhängig von Schweregrad der Erkrankung, sozialen Status und Eingliederungschancen soll mit der Unterstützung für jeden Betroffenen eine größtmögliche Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft erreicht werden.

Die großen Herausforderungen der Sozialarbeit sind heute: Bezahlbaren und geeigneten Wohnraum finden, Beschäftigungsmöglichkeiten mit Entgelt akquirieren, qualifiziertes und erfahrenes Personal anwerben und das Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Ethnien und Religionen gestalten.

Tragbare Lösungen sind nur im Netzwerk zu erzielen: mit gesetzlichen Betreuern, der Gemeinde, Betrieben, Hauseigentümern, kooperierenden Sozialbetrieben. Der Erfolg ist dennoch nicht garantiert, denn an Menschen mit psychischen Erkrankungen wollen Hausverwaltungen nicht  vermieten. Ein Dauerbrenner, der nach neuen Lösungen verlangt. Sozialbetriebe müssen selbst Appartementhäuser bauen oder Mehrfamilienhäuser anmieten. Eigener und individuell gestaltbarer Wohnraum ist die Basis für die Teilhabe in der Gemeinschaft. Das Rad der Zeit bleibt also nicht stehen. Ändern sich die gesellschaftlichen und ökonomischen Verhältnisse, muss auch die Sozialarbeit mithalten.

Sozialpsychiatrische Versorgung – ein dynamischer Prozess

Sozialpsychiatrische Versorgung ist heute ein hochdynamischer Prozess und das Versorgung- oder Teilhaberrad mächtig in Bewegung. Neue Vorgaben des Gesetzgebers zur Teilhabe am Arbeitsleben oder zu inklusiven Wohn-, Kultur- und Sportangeboten fordern Verantwortliche und Mitarbeiter in Institutionen und sozialen Einrichtungen.

„Der Rechtsstatus von Menschen, die körperlich, psychisch oder sozial beeinträchtigt sind, hat offensichtlich ein Niveau erreicht, das wir uns zu Beginn der Reformaktivitäten in den Sechziger- und Siebziger Jahren nicht hätten träumen lassen.“ (Heiner Keupp, Soziale Psychiatrie, 2/2011).

Das ist gut so, die benötigten Rahmenbedingungen hinken aber hinter her, sagt Keupp als Kritiker des „Netzwerkkapitalismus“. Finanzierung und Personalausstattung ermöglichen heute oft nur kurzfristiges Handeln in Form von ein- bis dreijährigen Maßnahmen und Projekten. Sehen die Leistungsträger (Kommunen, Landeswohlfahrtsverband, Krankenkassen, Agentur für Arbeit und Jobcenter) keinen ausreichenden wirtschaftlichen Nutzen oder fehlt ihnen selbst das Geld zur Weiterfinanzierung, werden die Projekte eingestellt.

Das bringt gerade Führungs- und Leitungskräfte in sozialen Betrieben in Konflikte. Wie die Klienten versorgen, die Mitarbeiter finanzieren? Es ist viel Unruhe und „Unordnung“ in die Sozialarbeit eingekehrt –wie auf dem Arbeitsmarkt insgesamt, die auch die Erkrankten verunsichert.

Dabei erfordert die Umsetzung von Neuerungen Mut zum Risiko – auch eine Akzeptanz des eingetretenen Chaos; die neue Ordnung ist von allen Beteiligten mit Herz und Verstand tragfähig auszuhandeln und zum Wohl der Erkrankten herzustellen. 

Vom Sozialbericht zur Hilfeplanung

Was hat sich so entscheidend verändert? Welche Aufgaben tragen zur Arbeitsverdichtung bei. Hier lohnt ein Blick in die jüngere Vergangenheit.

Bis 2004 sind von Sozialarbeitern und Pädagogen jährliche Sozialberichte an den Kostenträger (Sozialamt) geschrieben worden. Es wurde ein Jahr lang mit dem Menschen gearbeitet, das Erreichte aus der Retrospektive festgehalten. Das ist gerade 10 Jahre her.

Mit Einführung der personenzentrierten Hilfeplanung 2005 wurde vom Landeswohlfahrtsverband  als Arbeitsinstrument der Integrierte Behandlungs- und Rehabilitationsplan (IBRP) etabliert und die Abrechnung auf ein Kontingent von jährlichen Fachleistungsstunden (99 bis 347) umgestellt. Damit wurde der Spieß umgedreht: Fortan sollte von einem institutions- in ein personenzentriertes psychiatrisches Hilfesystem umgedacht werden. Zu Beginn der Betreuung waren jetzt die Ziele und Maßnahmen festzulegen, die Betreuungsarbeit zu dokumentieren, die vereinbarten Ziele regelmäßig zu überprüfen – bei Bedarf anzupassen.

Grundlage des Integrierten Behandlungs- und Rehabilitationsplans sollten die Wünsche und Bedürfnisse des Klienten sein. Die Planung müsse mit ihm gemeinsam entwickelt und nach einem Weg gesucht werden, wie Klienten an der Hilfeplanung selbst beteiligt und vertraute Menschen ihres sozialen Umfeldes einbezogen werden können. (Petra Gromann, 2002).

Das gemeinsame Erstellen des IBRP mit jährlicher Vorstellung in der Hilfeplankonferenz  gehört heute zur Routine. Arbeit macht es trotzdem, gerade dann, wenn der betroffene Mensch vor der jährlichen Verlängerung akut erkrankt oder der Schweregrad der Erkrankung eine gemeinsame Hilfeplanung erschwert.

Sich fokussieren

Wie mit der Veränderung umgehen – was tun? Der Mitarbeiter muss heute sehr genau hinsehen, was er mit seiner Zeit und Qualifikation leisten kann, wo seine eigenen und die Stärken seines Betreuten liegen.

Das erfordert neben einer guten Ausbildung auch Lebens- und Berufserfahrung – „Komplexleistungen“ sind heute zu bewältigen.

Die personenzentrierte Hilfeplanung kann helfen und sollte klug eingesetzt werden. Die formulierten Hypothesen der „Erfinder“ des IBRP, nach der die Partizipation der Klienten und deren Zufriedenheit erhöht werde und die Qualität des beruflichen Handelns und somit die Zufriedenheit der Mitarbeiter zunehme ... Lesen Sie den vollständigen Artikel hier

Das vollständige Artikel wurde in der Zeitschrift "Treffpunkte" 1/2017 unter dem Titel "Das Rad der Zeit bleibt nicht stehen" veröffentlicht. Text und Grafik: Johann Kneißl, www.allemunde.de