Im Zentrum steht die Arbeit - Schulessen-Service von ESSWERK hat sich etabliert

Im Interview: Geschäftsführer Mike Gräf

2006 suchte der Pädagoge Mike Gräf mit Mitarbeitern der Tagesstätte in Obertshausen für die Besucher nach einer sinnvollen Beschäftigung. Eine Kindertagesstätte und ein Kinderhort in der Nachbargemeinde benötigten Unterstützung beim Verteilen des Mittagessens und dem Säubern des Geschirrs. Aus der Idee, außerhalb der Tagesstäte im „normalen Arbeitsleben“ stundenweise zu arbeiten, entwickelte sich 2010 die gemeinnützige Integrationsgesellschaft ESSWERK. Heute werden in zwei Schulküchen und in einer öffentlichen Betriebskantine täglich 1.200 Essen zubereitet und an 40 Schulen und Kindereinrichtungen in Stadt und Kreis Offenbach geliefert. Zum Service gehören neben dem Verteilen des Essens und Spülen des Geschirrs ein Onlinebestellsystem und die Abrechnung mit Eltern, Caterern und Behörden. Auch werden Dienste wie der Betrieb von Kantinen, Verkaufsstellen und Schulmediatheken übernommen. 200 Menschen finden heute in der Firma Arbeit, darunter 50 in einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis.

Herr Gräf, seit fünf Jahren ist die Integrationsfirma ESSWERK rund um das Thema Schulessen aktiv. Wie wird die Arbeit von der Kundschaft wahrgenommen?

Wir sind heute ein etablierter Anbieter mit einem umfassenden Service. Unsere Leistungen werden von den Schulen und Kindereinrichtungen geschätzt und sind in der Öffentlichkeit anerkannt. Sie gehören zur Normalität wie das gemeinsame Arbeiten von Menschen mit und ohne Behinderung. Der soziale Aspekt spielt für Auftraggeber zwar eine Rolle, die Einschränkungen der Menschen sind aber ins Arbeitsumfeld integriert und haben für unsere Kunden keine Bedeutung. Wir müssen uns nicht mehr erklären. Das ist für mich Inklusion pur.
Das war nicht immer so. Gerade im stressigen Schulküchenbetrieb der Anfangszeit.
Wir haben auch innerbetrieblich den Prozess von Verständnis, Akzeptanz und Wertschätzung  durchlaufen. Ein Beispiel: Ein Profikoch und Küchenleiter einer Betriebskantine, der vorher nicht mit Menschen mit psychischen Erkrankungen konfrontiert war, hat heute mit 15 Beschäftigten seinen Weg gefunden, ist im Wesentlichen zufrieden mit der Arbeitssituation und hat mit seinen Mitarbeitern gemeinsam ein anspruchsvolles Essensangebot entwickelt. Die psychische Erkrankung ist für ihn zur Normalität geworden, die Einschränkung in die Arbeit integriert.

Wie sieht der Einstieg bei ESSWERK aus, welche Ziele werden verfolgt?

Wir erstellen keine Anamnese, auch wird die Einschränkung nicht groß angesprochen. Sie ergibt sich bei der Arbeit. Menschen die gemeinsam arbeiten wollen, treffen sich in der Küche. Dort findet sich alles. Ich kann Gemüse schneiden, dem Koch anreichen, die Spüle übernehmen. So zeigt sich schnell, was geht und der eigene Erfolg wird spürbar, der Nutzen der Arbeit direkt erlebt. Das trägt zur Gesundung bei. Bei uns arbeiten chronisch erkrankte Menschen genauso wie Menschen, die nach einer Akuterkrankung aus der Klinik direkt vom ersten Arbeitsmarkt zu uns kommen. Wir fördern Menschen in den ersten Arbeitsmarkt oder entwickeln bei ESSWERK eine Beschäftigung, die Leistungsstand, Entwicklungsmöglichkeit und sozialrechtlichen Status miteinander verbindet.

Kommen wir zu den Beschäftigten. Wie erleben sie die Arbeit bei ESSWERK?

Ich nehme einen großen Zusammenhalt wahr, spüre auch, dass sie mit Freude bei der Arbeit sind, Zufriedenheit ausstrahlen. Die Menschen erfahren für ihre Arbeit Wertschätzung von außen, sie übernehmen Verantwortung. Wir haben Dienststellen, da ist so gut wie nie jemand krank. Kommt eine Grippewelle, wie in diesem Winter, wird die zusätzliche Arbeit mitgetragen, der Stress ausgehalten. Auch nehme ich wahr, dass Krisen gemeinsam gemeistert werden, die Menschen sich untereinander stützen. Kürzlich wurde zum ersten Mal ein Mitarbeiter in einem Kindergarten psychotisch, schüttete etwa alle Flüssigkeiten in den Abfluss und sprach Unverständliches, Arzt und Polizei wurden geholt, das ganze Programm. Das sorgte natürlich für Unruhe. Aber die Kollegen sprechen miteinander und wir vermitteln, sind vor Ort und bieten einen pädagogisch geschützten Rahmen.

Wie gelingt der Spagat zwischen Wirtschaftlichkeit und sozialer Verantwortung?

Die wirtschaftliche Stabilität zu erreichen, ist unsere größte Herausforderung. Unsere Leistungen sind mittlerweile gesellschaftlich anerkannt und wir sind auf einen guten Weg, unseren betreuerischen Aufwand zu finanzieren. Wir haben mit dem örtlichen Werkstattträger eine Kooperation geschlossen und ermöglichen so aktuell 15 Menschen die Teilnahme am Arbeitsleben durch Rehabilitation oder stellen betriebsintegrierte Beschäftigungsplätze zur Verfügung. Werkstattoffen und arbeitsplatznah. Auch ist mittlerweile der Bereich des Zuverdienstes sozialrechtlich anerkannt. Menschen, die nur bis zu drei Stunden täglich arbeitsfähig sind, dürfen bis 100 Euro anrechnungsfrei hinzuverdienen. Wir schließen mit dem örtlichen Sozialhilfeträger eine Leistungsvereinbarung über 20 Beschäftigungsplätze ab. Bei einem Unternehmen mit zwei Millionen Euro Umsatz sind hier die gegenfinanzierten Betreuungsleistungen zwar vergleichsweise marginal, aber notwendig. Den Rest erwirtschaftet ESSWERK selbst.

Wie kann ein Ehrenamt konkret aussehen?

Mit der Diakonie Dreieich arbeiten wir zum Freiwilligenprojekt „Werden sie Coach  - geh mit“ zusammen. Damit werden Übergänge für Menschen nach akuter Erkrankung in ein Ehrenamt ermöglicht. In Tandems werden sie dabei von ehrenamtlichen „gesunden“ Bürgern unterstützt. Das Freiwilligenzentrum Offenbach unterstützt uns an anderer Stelle mit Dolmetschern bei der Schnittstelle zwischen Amt und Eltern. Durch das Bundesprogramm „Bildung und Teilhabe“ erhalten rund 300 bedürftige Kinder täglich für einen Euro ein warmes Mittagessen. Der Restbetrag wird über Jugendamt, Sozialamt oder Jobcenter finanziert. Beim Ausfüllen der Anträge und im Umgang mit den Behörden brauchen viele Eltern Unterstützung, häufig in ihrer Muttersprache.

Zum Schluss: Herr Gräf, wenn Sie einen Wunsch frei hätten?

Eine wirtschaftliche Stabilität von Dauer mit breit aufgestellten Beschäftigungsmaßnahmen,  auch durch langfristige Kooperationen. Die ökonomische Anerkennung für unsere mittlerweile gesellschaftlich etablierte Arbeit.

Dieses Interview wurde in der Zeitschrift "Treffpunkte" 3/2015 abgedruckt. Text: www.allemunde.de

Kontaktformular