Mit Bett und Fernseher zufrieden

Ein Angehöriger berichtet

Hans Hahn, 80 Jahre, früh geschieden und Vater von zwei Söhnen, sprüht vor Lebendigkeit.
Der IT-Entwickler im Ruhestand hat ein Mobiltelefon und ein Smartphone auf dem Tisch
liegen. Munter blättert er in der aktuellen Treffpunkte Zeitschrift, liest das Impressum, fragt
mit einem verschmitzten Blick über die Lesebrille, warum mein Name nicht im
Redaktionsteam genannt ist. Wir lachen. Hans Hahn stimmt keine Klagelieder an. Grund
dazu hätte er: „Na ja“, sagt er, „mein Sohn ist ganz zufrieden, andere Heimbewohner
besuchen ihn im Zimmer, schnorren Tabak, er hat Kontakte. Als Junge war er charmant, die
Gutmütigkeit ist ihm geblieben“.

Sohn Michael, 51 (Name geändert), erkrankte im ersten Semester seines Physikstudiums an
einer schweren Psychose, seit 1987 lebt er bei Lebensräume in einem Wohnheim. „Er ist sehr
lethargisch, liegt viel im Bett und sieht fern. Es bleibt bei Versuchen, ihn aus seiner
‚selbstgewählten Stille‘ herauszuholen und in eine Pizzeria oder ein Café zu gehen.“

Nahezu jeden Sonntagnachmittag sitzt Hans Hahn seit fast 30 Jahren zwei bis drei Stunden im
Zimmer seines Sohnes, muss „90 % der Gesprächsanstöße“ selbst in die Hände nehmen.
„Wir führen so manche ‚verrückte Konversation‘, die sich häufig einer strengen Logik
entzieht.“ Gelegentlich mache er seinen Sohn mit Fragen wie „Michael, ist das wirklich
logisch, du hast doch Physik studiert“, vorsichtig darauf aufmerksam. Einem kurzen Weg der
Klarheit folgen neue wunderliche Gedankengänge.

Hans Hahn und seine Exfrau halten beide intensiven Kontakt zum Sohn, besuchen
gemeinsam die monatliche Angehörigengruppe des Wohnheims. „Die Gespräche sind
tröstlich und zeigen, dass es auch bei anderen Erkrankten eine ähnliche
‚Negativsymptomatik‘ mit Folgeproblemen gibt.“

Der pensionierte IT‘ler bei der Deutschen Bahn fühlt sich vom Wohnheim gut informiert und einbezogen. Dann muss er wieder lächeln, beginnt zu erzählen und meint, dass man darüber nicht zu kritisch urteilen soll: „Der Spezialisierungsgrad im heutigen Sozial- und Gesundheitswesen ähnle ein bisschen dem in einer Automobilfabrik. Für alles gibt es Experten. Bis hin zur Hygiene-Putzfrau. Das Bezugsbetreuungssystem ist da aber ein notwendiges Gegengewicht.“

Auch dank der modernen Kommunikationstechnik wird er von der Bezugsbetreuerin seines Sohnes “auf dem Laufenden gehalten“. Hans Hahn zeigt auf die Mobilgeräte auf dem Tisch.

Dieser Artikel wurde in der Zeitschrift "Treffpunkte" 1/2016 zum Schwerpunkt "Immer im Dienst - Angehörige psychisch Kranker" unter dem Titel "Bett und Fernseher machen zufrieden" veröffentlicht. Text und Bild: www.allemunde.de

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